Rote Rosen: Katy Perry feiert in Paris ihren Geburtstag – mit Justin Trudeau
Es war 06:30 Uhr im “Drei Könige”, Gunter Flickenschilds Grand Hotel. Die Luft roch nach frisch gebrühtem Kaffee und den noch nicht ganz trockenen Tageszeitungen. Gunter saß wie jeden Morgen an seinem Stammtisch, die Brille auf der Nase, und genoss die trügerische Ruhe, bevor das Chaos des Morgengeschäfts ausbrach.
Er blätterte durch die lokale Ausgabe, die vertrauten Berichte über den Stadtrat und das neueste Kuchenrezept im Café Krone. Dann, auf Seite 3 des überregionalen Abschnitts, hielt seine Hand inne. Die Tasse klapperte leise auf die Untertasse zurück.
Die Schlagzeile, fett und frivol, schrie ihn an:
ROTE ROSEN: KATY PERRY FEIERT IN PARIS IHREN GEBURTSTAG – MIT JUSTIN TRUDEAU

Die Überschrift war absurd, die typische Clickbait-Faszination für Kontraste. Aber Gunter starrte nicht auf die Sängerin oder den Politiker. Sein Blick war auf eine dritte Person in der Mitte des hochauflösenden Fotos fixiert. Die Aufnahme zeigte eine elegante, private Geburtstagsgesellschaft auf einem Pariser Dachgarten. Katy Perry lachte, Justin Trudeau prostete ihr zu, und zwischen ihnen stand… Arno.
Arno Meller.
Arno war der unscheinbare, freundliche Mann mittleren Alters gewesen, der die letzten vier Wochen im “Drei Könige” gewohnt hatte. Er hatte sich als “freiberuflicher Kunsthistoriker” ausgegeben, der in Lüneburg über die mittelalterliche Architektur recherchierte. Er hatte täglich mit Gunter Schach gespielt, über Wein philosophiert und war in der letzten Woche still und leise abgereist, mit einer freundlichen Grußkarte, in der er sich für die “bayerische Gemütlichkeit” bedankt hatte.
Doch der Mann auf dem Foto trug kein abgenutztes Tweed-Sakko. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug, sein Haar war perfekt geschnitten, und er hielt ein hochsensibles Satellitentelefon in der Hand, während er einem unidentifizierten Mann in Uniform eine ernste Anweisung zuraunte. Der Bildunterschrift des Artikels war beigefügt: „…neben Perry und Trudeau stand auch Monsieur ‘Le Furet’ – der als extrem schwer fassbare, hochrangige Sicherheitsberater des G20-Gipfels gilt, der diese Woche in Paris tagt.“
Gunter spürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Monsieur ‘Le Furet’. Das Wiesel. Ein alter Codename, den er seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gehört hatte. Er kannte Le Furet. Er kannte ihn gut. Und Le Furet, oder Arno Meller, wie er sich in Lüneburg nannte, wusste Gunters größtes Geheimnis.
Akt II: Das eiskalte Wiedererkennen
Gunter ließ die Zeitung fallen. Das Geräusch war in der Stille des frühen Morgens ohrenbetäubend. Der Schock wich einer panischen, kalkulierten Reaktion.
Wenn Arno Meller ein so hochrangiger Sicherheitsagent war, dann war seine Anwesenheit in Lüneburg kein Zufall gewesen. Er war nicht gekommen, um die Architektur zu bewundern. Er war gekommen, um Gunter zu beobachten. Oder schlimmer noch: Um etwas zu finden, das Gunter vor langer Zeit versteckt hatte.
Gunter griff hastig nach der Zeitung, um sie in den Müll zu werfen, als die Tür aufsprang und Thomas (Gunters loyaler, aber neugieriger Geschäftspartner) mit einem Stapel Lieferscheine hereinkam.
„Morgen, Gunter! Ich wollte gerade… Moment mal“, sagte Thomas, dessen Blick auf die zusammengeknüllte Zeitung auf dem Boden fiel. Er beugte sich hinunter und entfaltete die Seite mit dem Pariser Foto.
Thomas lachte laut auf. „Schau dir das an! Katy Perry, Justin Trudeau… Moment mal, dieser Kerl in der Mitte… Das ist doch Arno! Der nette Mann, der hier immer Schach gespielt hat! Was macht unser Kunsthistoriker denn bitte auf einer Party mit der internationalen High Society?“
Gunter erstarrte. Er wusste, er hatte nur Sekunden, um eine Antwort zu formulieren, die Thomas beruhigte, ohne seine eigene Vergangenheit auffliegen zu lassen.
„Das… das ist eine Verwechslung, Thomas“, sagte Gunter, seine Stimme klang belegt. Er musste sich zwingen, ruhig zu sprechen, seine Augen fixierten Thomas‘ Gesicht. „Siehst du nicht? Die Nase ist anders. Er muss ihm ähnlich sehen.“
Thomas kratzte sich am Kinn und zoomte mit den Augen auf das Foto. „Ich weiß nicht, Gunter. Sogar sein Anzug, sein steifer Kragen. Das ist genau der Stil, den er hier getragen hat. Aber… als Sicherheitsberater? Ich dachte, er sei Kunsthistoriker.“
„Er hat gelogen, Thomas. Viele Geschäftsleute reisen unter falschen Identitäten“, konterte Gunter, die Lüge schmeckte bitter. „Lüneburg ist eine beliebte Tarnung. Es ist nur ein Zufall.“
Akt III: Die unsichtbare Fracht
Thomas schien halb überzeugt, aber seine Augen funkelten noch vor Neugier. Er legte die Zeitung beiseite. „Nun ja, wenn dieser Arno ein Spion ist, dann ist er ein sehr langweiliger Spion. Er hat hier vier Wochen lang nur Rote Rosen geschaut und Schach gespielt.“
„Genau“, sagte Gunter schnell. „Ein langweiliger Spion. Vergiss ihn, Thomas. Hast du die Lieferscheine?“
Doch Thomas hatte das Thema noch nicht ganz losgelassen. „Eine Sache noch, Gunter. Erinnerst du dich an Arnos Koffer? Er war so unglaublich schwer. Ich habe ihm beim Tragen geholfen. Ich dachte, er hätte schwere Bücher dabei. Aber er sagte, es seien „Ersatzteile für ein altes Teleskop“. Ziemlich eigenartig.“
In diesem Moment traf die Erinnerung Gunter mit voller Wucht. Das Teleskop. Es war kein Teleskop gewesen. Es war der Code für ein geheimes Versteck, das er und Arno vor fast zwei Jahrzehnten, als sie noch Kollegen in einer dubiosen Sicherheitsfirma waren, eingerichtet hatten, um gestohlene Daten zu verbergen. Daten, die die gesamte Reputation von Gunter und möglicherweise die Finanzierung des “Drei Könige” betrafen.
Die wahre Frage war nicht, was Arno in Paris tat. Die wahre Frage war: Was hatte er in Lüneburg gefunden und in jenem schweren Koffer mitgenommen?
Gunter spürte, wie die Panik kalt und klar in seinem Herzen aufstieg. Der Mann, der gerade mit einem der mächtigsten Staatsmänner der Welt feierte, hatte möglicherweise Gunters Leben in der Hand.
„Thomas“, sagte Gunter, seine Stimme nun tief und befehlend. „Die Schlüssel zum alten Weinkeller. Sofort. Ich muss etwas überprüfen, was Arno vergessen haben könnte.“
Er wusste, was er tun musste. Er musste in das Versteck hinabsteigen, um zu sehen, ob Arno es leer geräumt hatte. Und wenn ja, musste Gunter sofort einen Anruf tätigen. Einen Anruf, der ihn in die dunkelste Ecke seiner Vergangenheit zurückziehen würde.