„Rote Rosen“ aus Lüneburg: Wie arbeitet Requisiteurin Sarah Krämer?

Es war 05:45 Uhr im Studio in Lüneburg. Die Sonne hatte noch nicht begonnen, die Backsteinfassade der ehemaligen Fabrik zu küssen, die nun das Zuhause von Rote Rosen war. Sarah Krämer, die Requisiteurin mit dem scharfen Blick für jedes Detail, bewegte sich durch das Lager, ein Labyrinth aus abgenutzten Sofas, perfekt gefalteten Servietten und unzähligen Weingläsern.

Ihre Aufgabe, so hatte sie es ihrem Team immer erklärt, war es, die Realität zu fälschen, sie schöner, aber glaubhafter zu machen. Ein Requisit ist niemals nur ein Gegenstand; es ist ein Ankerpunkt in der Erzählung.

Sarah hielt das zentrale Requisit der heutigen Szene in der Hand: eine exquisite, antik wirkende Brosche aus Gold und Amethyst. Sie war entscheidend für die neue Haupthandlung, in der die Figur Charlotte ein wertvolles Familienerbstück zurückerhielt.

Rote Rosen“ aus Lüneburg: Wie arbeitet Requisiteurin Sarah Krämer?

„Perfekt“, murmelte Sarah. Der Schein der Lampe ließ den Amethysten wie einen Tropfen tiefroten Wein funkeln.

Doch als sie die Brosche vorsichtig in die Samtschatulle legte, um sie zum Set zu bringen, fror ihr die Hand ein. Ihr Blick fiel auf den Prüfbericht, den sie am Vortag hatte erstellen lassen, um den Versicherungswert der Fälschung zu taxieren.

Materialanalyse (Ergebnis): Brosche besteht aus vergoldetem Messing und synthetischem Korund (Amethyst-Imitat). Auffälligkeit: Das Messing des Gehäuses weist mikroskopische Anhaftungen von reinem Platinum auf.

Sarahs Herz begann, unregelmäßig zu pochen. Platinum? Das war unmöglich. Die Brosche war eine professionelle Fälschung, hergestellt, um nur echt auszusehen, nicht um Material aufzuweisen, das hundertmal wertvoller war als das Messing selbst.

Sie schob die Samtschatulle panisch zurück. Sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sie die richtige Brosche in der Hand hielt.

Vor drei Wochen hatte die Produktionsleitung versehentlich eine echte, platinhaltige Antiquität als Vorlage für die Fälschung ins Studio geliefert. Sarah hatte es bemerkt und das Original sofort an die Bank zurückgeschickt, während die Fälschung in ihrem Tresor landete. Oder zumindest dachte sie das.

Die mikroskopischen Platinspuren bedeuteten: Die Brosche war nicht die Fälschung. Sie musste das Original sein, die wertvolle Antiquität, die versehentlich mit der gefälschten Requisite vertauscht worden war, bevor die Bank die Sendung überhaupt verlassen hatte.

 

Akt II: Der verlorene Ankerpunkt

 

Sarah rannte zu ihrem kleinen Schreibtisch. Sie kramte in den Unterlagen, fand den Lieferschein des Kurierdienstes. Sie hatte das Original als “Fälschung A” und das Studio-Requisit als “Fälschung B” gekennzeichnet, um Verwirrung zu vermeiden.

Sie suchte den Requisiten-Tresor ab, in dem die Fälschung eigentlich liegen sollte. Leer.

Die kalte, harte Wahrheit schlug ihr ins Gesicht: Die echte Brosche würde heute in der Szene als Requisite verwendet werden.

Und noch schlimmer: Am Ende der Szene, so stand es im Drehbuch, sollte Charlotte die Brosche in einer emotionalen Geste über den Balkon werfen, als symbolischen Akt des Loslassens von der Vergangenheit.

Sarah schluckte trocken. Ein millionenschweres Original würde in wenigen Stunden in einen Busch fallen und verschwinden.

Sie musste die Szene stoppen. Aber wie? Die Drehbuchautoren, die Regisseure, alle waren davon überzeugt, dass es sich um die harmlose Requisite handelte. Wenn sie jetzt die Wahrheit enthüllte, würde sie nicht nur ihren Job verlieren, sondern die gesamte Produktion lahmlegen und eine Versicherungsbetrugsermittlung auslösen, die sie als Hauptverantwortliche ausweisen würde.

Sie sah auf die Uhr: 06:15 Uhr. Das Team kam jeden Moment.

Ein leises Knacken ließ Sarah zusammenzucken. Es kam nicht aus dem Lager, sondern aus dem unbenutzten, dunklen Korridor hinter den Kulissen, der zum Set führte.

Jemand war schon da.

Sie blickte sich um. Die Brosche, das Original, lag offen in ihrer Schatulle.

 

Akt III: Die Flucht des Originals

 

Sarah spürte, wie ihr Adrenalinspiegel anstieg. War es nur ein früher Elektriker? Oder jemand, der von dem Wert der Brosche wusste und nur auf den Moment wartete, in dem das Requisit unbeaufsichtigt war?

Die Platinspuren. Sie waren zu spezifisch. Jemand musste bei der ersten Analyse der Bank gearbeitet und den Austausch im Studio gezielt durchgeführt haben.

Sarah traf eine schnelle Entscheidung, die nur eine verzweifelte Requisiteurin treffen konnte. Sie nahm die Brosche, steckte sie nicht in ihre Tasche, sondern versteckte sie in einem ungenutzten Requisit direkt neben sich: einem alten, bemalten Porzellanschwein, das eigentlich für eine Scheunenszene gedacht war. Sie schob die Brosche tief in die hohle Mitte des Schweins und wickelte es mit einem Stück alten Sackleinen ein.

Sie sah zur Tür. Der Korridor war immer noch dunkel.

Sie nahm die leere Samtschatulle und stürmte damit aus dem Lager in Richtung Set. Sie musste den Eindruck erwecken, die Brosche sei bereits auf dem Weg zur Schauspielerin.

Als Sarah um die Ecke zum Flur bog, stolperte sie fast über eine männliche Gestalt. Es war Jens, der neue, schüchterne Beleuchter.

„Oh, Sarah! Entschuldigung! Ich bin nur… habe nur die Kabel kontrolliert“, sagte Jens hastig, seine Augen waren weit und seine Hände zitterten leicht.

Sarahs Blick huschte über ihn. Er trug Handschuhe – ungewöhnlich für einfache Kabelarbeit. Und er stand genau vor dem Porzellanschwein, das sie gerade als Versteck benutzt hatte.

„Kein Problem, Jens“, sagte Sarah mit gezwungener Ruhe, während ihr Herz raste. „Ist alles in Ordnung? Es ist noch zu früh für die Beleuchtung.“

„Ja. Alles bestens. Ich bin… früh dran.“ Jens wich ihrem Blick aus.

Sarah lächelte professionell und ging weiter, die leere Schatulle fest in der Hand. Sie wusste, sie hatte ihm nicht getraut. Entweder war Jens der ahnungslose Kurier eines Komplizen, der das echte Stück stehlen wollte, bevor es in den Busch flog, oder er war derjenige, der das Stück im Lager vermisste.

Die Szene musste gedreht werden. Aber mit welcher Brosche?

Sarah eilte zum Set. Sie musste schnell eine neue, harmlose Fälschung finden, bevor Jens in das Lager zurückkehrte. Sie musste die Illusion aufrechterhalten, ohne einen Millionenschaden anzurichten. Und sie musste herausfinden, warum ausgerechnet die Requisiteure von Rote Rosen in einen Fall von echtem Verbrechen verwickelt worden waren.