Ein smartes Haus

Ein smartes Haus

„Es gabat a Leich!“, tönte Frau Stockls Stimme durch das Kommissariat und ließ Kommissar Sven Hansen beinahe seinen morgendlichen Kaffee verschütten. Die Gemütlichkeit des bayerischen Vormittags war abrupt beendet.

Tatort: Eine hypermoderne, kühle Villa am Stadtrand, ein „Smart House“, in dem alles – von der Beleuchtung bis zur Kaffeemaschine – per App gesteuert wurde. Das Opfer: Dieter Ludewig, ein erfolgreicher, aber offenbar wenig beliebter Fotograf, erschlagen im klinisch sauberen Fotostudio seiner Hightech-Festung.

Ein smartes Haus

Hansen und sein neuer Kollege Kilian Kaya betraten das Studio. Der Kontrast zwischen der sterilen Technologie und dem archaischen Gewaltakt war schockierend. Ludewig lag inmitten seiner teuren Ausrüstung, der Kopf von einem schweren Stativ zertrümmert.

„Ein smartes Haus, Kommissar“, bemerkte Kaya trocken, während er das Licht per Sprachbefehl dimmte. „Aber anscheinend nicht smart genug, um seinen Besitzer vor einem brutalen Anschlag zu schützen.“

Hansen nickte, während er Dr. Dimos bei der Arbeit zusah. „Diese Häuser sind oft mehr Fassade als Schutz. Und gerade die Technik bietet neue Angriffspunkte.“

Die erste Verdächtige war Esther Ludewig, die elegante Witwe des Opfers. Sie präsentierte sich als untröstlich, doch ihre Tränen wirkten auf Hansen seltsam gezwungen.

„Dieter war… kompliziert“, seufzte sie in ihrem Designer-Kostüm, während die Jalousien sich auf die Minute genau automatisch öffneten und den Raum mit grellem Licht durchfluteten. „Aber ermorden? Wer würde so etwas tun?“

„Nun, Frau Ludewig“, erwiderte Hansen mit seiner sanften, aber bohrenden Art. „Wir wissen, dass Sie eine Affäre mit Dieters Assistenten Julian Reimers hatten.“

Esther zuckte kaum merklich zusammen. „Das ist wahr. Aber Dieter wusste es. Es war… offen. Außerdem“, fügte sie mit einem kalten Lächeln hinzu, „bei einer Scheidung hätte ich nur einen Bruchteil seines Vermögens bekommen. Jetzt, da er tot ist, erbe ich alles.“

Kaya befragte derweil den Assistenten, Julian Reimers. Der junge Mann wirkte nervös.

„Die Affäre war harmlos“, beteuerte Reimers, während er auf seinem Handy eine App checkte, die anzeigte, dass die Alarmanlage ausgeschaltet war – eine Funktion des Smart House. „Nur Ablenkung. Aber Ludewig war ein Tyrann. Er hat mich öffentlich gedemütigt und meine Ideen gestohlen. Er hat mich ausgenutzt!“

Im Laufe der Ermittlungen stießen Hansen und Kaya auf eine dritte Spur: Tom Schöninger, ein militanter Naturschützer. Ludewig hatte ihn kürzlich wegen Körperverletzung angezeigt, nachdem Schöninger dessen teuren Sportwagen mit Flugblättern beklebt hatte, die „Freie Fahrt für die Natur“ forderten.

Schöninger, der in einer urigen, technikfreien Holzhütte wohnte, verhöhnte Ludewigs luxuriösen Lebensstil. „Dieser Ludewig war ein Umweltschädling! Seine protzige Villa, sein Fuhrpark, seine ganze Existenz war eine Provokation. Aber ich habe ihn nicht umgebracht. Ich kämpfe mit Flugblättern, nicht mit Stativen!“

Die Ermittlungen gerieten ins Stocken. Jeder hatte ein Motiv, doch niemand hatte ein stichhaltiges Alibi. Das Smart House, das alle Vorgänge aufzeichnen sollte, lieferte keine brauchbaren Beweise; die Überwachungskameras waren – wie Esther beiläufig erwähnt hatte – seit Wochen wegen eines fehlenden Ersatzteils defekt.

Auf dem Kommissariat herrschte derweil das übliche Chaos. Herr Achtziger war außer sich, weil er seine Konzertkarten für die „Böhmische Blasmusik“ verlegt hatte. Michi Mohr versuchte, einen verwechselten Mantel mit einem verräterischen Liebesbrief in der Innentasche dem rechtmäßigen Besitzer zuzustellen, was zu zahlreichen amüsanten Verwicklungen führte. Nur Frau Stockl behielt den Überblick und stieß auf ein Detail in den Berichten über das Smart House.

„Kommissar Hansen“, rief sie. „Diese App von Herrn Ludewig: Sie steuert nicht nur die Heizung. Sie zeigt auch an, wann welche Tür oder welches Fenster geöffnet wurde – unabhängig von der defekten Kamera!“

Ein Blick auf die Protokolle zeigte eine verdächtige Aktivität: Um die Tatzeit herum wurde die Hintertür des Fotostudios zweimal kurz geöffnet und geschlossen.

Hansen und Kaya fuhren zurück zur Villa. Sie konfrontierten Esther Ludewig erneut mit dem Protokoll.

„Jemand ist in den Raum gegangen und sofort wieder herausgekommen. Ein Einbrecher? Aber es wurde nichts gestohlen“, folgerte Hansen.

Esther blieb kühl. „Das muss Julian gewesen sein. Er hat einen Schlüssel und kam oft wegen der Ausrüstung.“

Sie ließen die Jalousien per App herunterfahren, um die Szene zu rekapitulieren. Plötzlich bemerkte Kaya eine winzige Schürfwunde am Handgelenk von Esther.

„Was ist mit Ihrem Arm passiert, Frau Ludewig?“

Sie zuckte mit der Achsel. „Ich bin gestürzt.“

Hansen sah sich um. Das Stativ, die mutmaßliche Mordwaffe, war sehr schwer und unhandlich. Zwei Versuche waren nötig, um den Mord zu begehen.

„Der Stativ war zu schwer für Sie, Frau Ludewig“, sagte Hansen leise. „Sie wollten ihn nur umstoßen, vielleicht verletzen, aber Sie haben ihn nicht halten können. Die Protokolle zeigen es: Sie sind ins Studio, haben den Stativ gegriffen, ihn fallen gelassen, sind hinausgestürmt, haben neue Kraft gesammelt – und sind dann zurückgekommen, um die Tat zu vollenden.“

Esther Ludewig brach zusammen. Ihre elegante Fassade zerfiel in Tränen und Verzweiflung. „Er wollte sich von mir trennen! Er wollte mich mit nichts zurücklassen! Ich habe das Smart House mit ihm entworfen, es war mein Baby! Er hätte mich ruiniert, weil ich ihn betrogen habe. Ich… ich konnte das nicht zulassen.“

Das Smart House, das für Dieter Ludewig ein Symbol seiner Macht war, hatte den Täter verraten – nicht durch die Kameras, sondern durch die unscheinbare Aufzeichnung eines Türöffnungsmechanismus. Als Esther Ludewig abgeführt wurde, tauschten Hansen und Kaya einen Blick aus.

„Tja“, sagte Kaya, während Hansen genüsslich seinen kalten Kaffee trank. „Am Ende war es die simple Technik im hochmodernen Smart House, die uns zum Ziel geführt hat. Und das, Kommissar, ist fast schon wieder… traditionell Rosenheim.“