Ein Diener zweier Herren
Die Dunkelheit klammerte sich an die Berghütte, ein zäher, kalter Panzer, der das Grauen in ihrem Inneren verbarg. Nur das ferne, unaufhörliche Rauschen eines Gebirgsbaches durchbrach die gespenstische Stille. Im Inneren, inmitten des rustikalen Mobiliars und des Geruchs von kaltem Rauch und altem Holz, lag David Frey. Er lag da, wo er gestern noch so großspurig seine Pläne für ein Gourmet-Restaurant in den bayerischen Alpen skizziert hatte, nun regungslos, erschlagen. Die Kommissare Anton Stadler und Julia Beck, begleitet von Polizeihauptmeister Mohr, betraten die Szene. Stadler, die Hand an seinem Nacken, murmelte: „Ja, mei, was macht denn ein Münchner Promikoch in so einer gottverlassenen Gegend? Und dann noch so ein Ende…“ Beck, wesentlich fokussierter, beugte sich über die Leiche. Das Gesicht Freys war blass, die Augen starr, ein feuchter, dunkler Fleck breitete sich auf dem Holzboden aus.
„Erschlagen“, stellte Beck trocken fest. „Mit einem stumpfen Gegenstand, vermutlich etwas Schweres, was hier rumlag.“ Mohr, stets bemüht, die Szene so unberührt wie möglich zu halten, deutete auf einen gusseisernen Kaminhaken, der achtlos in einer Ecke lag. „Der Herr Winzerer, Kommissar, der den Toten gefunden hat, meinte, der Haken läge normalerweise am Kamin.“
Lothar Winzerer, der Vorsitzende der „Freunde der Berge“, eine knorrige Gestalt mit wettergegerbtem Gesicht und einem Zorn, der tiefer saß als die Täler, stand draußen, seine Hände zu Fäusten geballt. Stadler näherte sich ihm. „Herr Winzerer. Sie haben ihn gefunden? Erzählen Sie uns, was genau passiert ist.“ Winzerers Stimme war rau, voller unterdrückter Wut. „Ich komm’ jeden Morgen hier rauf, schau nach dem Rechten. Als ich die Tür offen fand und den Frey da liegen sah… Es war klar. Dieser Kerl wollte unser Bergheil zerstören! Ein Gourmettempel, wo eine urige Hütte steht! Hat er es denn verdient? Ja!“ Seine Augen blitzten hasserfüllt. „Er hatte einen Haufen Feinde. Jeder, der die Berge liebt, hasste ihn.“ War es der Zorn eines Umweltschützers, der zur Tat führte? Die Drohung, die Berghütte abzureißen, hing wie eine schwere Last in der Bergluft.
Beck indessen nahm Vivien Rosentaler ins Visier, die Millionenerbin und Geliebte des Opfers, die das Projekt finanzierte. Sie saß in einem bereitgestellten Polizeiauto, elegant selbst im Angesicht des Todes, aber ihre Haltung verriet eine tiefe, brodelnde Wut. „Geld war nie ein Problem“, sagte sie mit frostiger Stimme. „Aber Treue! Er hatte nicht nur mich! Er hat andere Frauen getroffen, er hat mein Geld verschwendet, um sich wie ein Maharadscha aufzuführen. Er war ein Diener zweier Herren – der eine war ich, und der andere… sein eigenes Ego und seine Lügen.“ Beck notierte ihre Beobachtungen: Rosentaler war wütend genug, eifersüchtig genug, um zuzuschlagen. Die finanzielle Abhängigkeit Freys von ihr machte sie zur perfekten Tatverdächtigen.
Der dritte im Bunde der Verdächtigen war Tim Höffner, der eigentliche Promikoch aus München, Freys Geschäftspartner. Er wirkte panisch, seine Designerjacke kontrastierte scharf mit der rustikalen Umgebung. „Ich verstehe das nicht! Wer würde so etwas tun?“ flehte er. Doch bei der Überprüfung der gemeinsamen Finanzen fanden Stadler und Beck schnell eine Unregelmäßigkeit: Höffner hatte heimlich einen großen Betrag aus dem Projektkapital abgezweigt – ein kleines Vermögen, das Frey sicherlich bemerkt hätte. Höffner hatte ein Motiv: Frey wusste zu viel und stand ihm im Weg, seine eigene Haut zu retten. Der Druck der Kommissare ließ Höffners Fassade schnell bröckeln. „Ja, ich hab’ was genommen! Aber ich hab ihn nicht umgebracht! Er hat mich erpresst! Er wusste von den Schulden in München und hat gedroht, Vivien alles zu erzählen, wenn ich nicht noch mehr organisiere!“
Die Ermittlungen gerieten in einen Strudel aus Eifersucht, Gier und Erpressung. Jeder der Verdächtigen – der zornige Naturschützer, die betrogene Geliebte, der verzweifelte Geschäftspartner – hätte den gusseisernen Haken ergreifen und zuschlagen können.
Währenddessen, weit entfernt von der Mordermittlung, kämpfte Dominik Meis, der junge Kollege aus dem Präsidium, mit seiner ganz eigenen Krise als Diener zweier Herren. Er hatte heimlich einen zweiten Job als Aushilfe bei der Sanitärfirma Oberhauser angenommen, um die Schulden seiner Familie zu begleichen. Er rannte in den zwei Tagen wie ein Irrwisch zwischen dem Präsidium, wo er Akten sortierte und Kaffee kochte, und der Baustelle, wo er Rohre schleppte und Toiletten installierte. Einmal hätte er beinahe Kommissar Achtziger einen Wasserhahn als Aktentasche überreicht, ein anderes Mal beantwortete er das Telefon auf der Baustelle mit dem amtlichen Gruß des Polizeipräsidiums. Der Stress zerrte an ihm. In der Pause auf der Baustelle, als er in seiner verschwitzten Arbeitskleidung ein kaltes Leberkäs-Semmel aß, dachte er: Zwei Leben gleichzeitig führen – das ist unmöglich. Eines muss zusammenbrechen. Er war sein eigener Gefangener in einem Netz aus Verpflichtungen, das er selbst gewoben hatte.
Die Spannung in der Berghütte stieg. Stadler, der stets auf sein Bauchgefühl hörte, spürte, dass etwas an der Geschichte von Tim Höffner nicht stimmte. „Erpresst, ja. Aber wer hat ihn wirklich unter Druck gesetzt, zu unterschlagen?“ Beck, die die Finanzen Freys noch einmal durchging, stieß auf eine versteckte, große Überweisung, die nicht von Rosentaler stammte, sondern von einem unbekannten Konto – kurz bevor Frey erschlagen wurde. War das die eigentliche zweite Herrin? Ein noch unbekannter Akteur, der David Frey von hinten erpresst hatte, und der ihm dann zum Verhängnis wurde, als er sich nicht mehr fügen wollte? Die Stille in der Hütte schien nun nicht mehr unschuldig, sondern lauerte wie ein hungriges Tier. Die Lösung lag nicht in der offensichtlichen Eifersucht oder Wut, sondern in einem tiefer liegenden, dunkleren Geheimnis, das David Frey mit ins Grab genommen hatte. Die Jagd nach diesem zweiten Herren – oder vielmehr, der wahren Natur des ersten – hatte gerade erst begonnen.